über das Schreiben

Der literarische Beginn

Die Hinwendung zur Literatur ist kein Zufall. "Ich komme aus einer Familie von Autoren und Lesenden: Meine Großmutter Yoi Pawlowska Crosse, Mutter meines Vaters, schrieb Reisebücher, ein Großvater, Enrico Alliata, schrieb Philosophie-Bücher und Abhandlungen über die vegetarische Kultur und mein Vater Ethnologe und Orientalist, schrieb, eine Tante mütterlicherseits, Gianni Guaita hat Romane und Theaterstücke geschrieben und meine um Jahre jüngere Schwester Toni schreibt wunderbare Erzählungen und Gedichte. In meinem Haus waren Bücher wichtiger als alles andere"1 "Und bevor ich lesen konnte, erzählte mir meine Mutter Geschichten und las aus Büchern vor und ich hing an ihren Lippen".2

Sie sagt von sich, schon früh gewusst zu haben, dass auch sie einmal einen kulturellen Beruf ergreifen würde. Danach gefragt, welche Bücher sie stark beeindruckten, nennt sie Stephenson Conrad, Melville und Rostand "wenngleich meine Identifikation mit ihnen nicht total sein kann, weil die Hauptfiguren immer junge oder älter Männer sind, und für mich als junges Mädchen war es unmöglich, mich in einem Forschungsschiff oder auf Entdeckerreise zu sehen.... Conrad ist mein bevorzugter Autor und ich habe ihn auch übersetzt." 3 In einem Interview nennt sie ihre literarischen Vorbilder: "Ich sage immer, ich habe fünf Mütter: Lalla Romano, Elsa Morante, Anna Maria Ortese, Anna Banti e Natalia Ginzburg, Autorinnen einer Generation vor mir , die mich viel gelehrt haben die eine ihren Stil, die andere mit ihrer Sprache."4 Aber sie nennt auch die sardische Autorin und Nobelpreisträgerin Gracia Deledda: "Die sardische Schriftstellerin ist eines meiner Vorbilder, weil sie den blumigen und misanthropischen literarischen Moden der Jahrhundertwende widerstanden hat. Sie ist eine große Geschichtenerzählerin und vermeidet dennoch jedes psychologisieren, sie umschifft das Pathos, obwohl sie von Besiegten und Gescheiterten erzählt, es findet sich in ihrem Werk keine einfache Soziologie, auch wenn es von tiefen Kenntnissen der sardischen Gesellschaft zeugt. Deleddas Erzählkraft triumphiert über ihre beschränkten erzählerischen Mittel und ihre provinzielle Bildung; dies macht sie in meinen Augen zu einer großen klassischen Autorin, die trotz des geringen Interesses der Kritik als eine der außergewöhnlichsten Stimmen der italienischen Literatur Bestand haben wird."5

Lalla RomanoElsa MoranteAnna Maria Ortese


Schreiben aus der Sicht der Frau
Dacia Maraini, die in den 70er Jahren Mitinitiatorin der feministischen Bewegung war und mit ihren Theatergründungen den Frauen ein wichtiges Forum verschaffte, äußert sich auch heute noch zu zentralen Themen der Frauenpolitik, lehnt es jedoch ab, als "Bewegungsliteratin" oder feministische Autorin etikettiert zu werden. "Ich bin keine Essayistin, sondern eine kreative Autorin. Literatur sollte sich von Ideologie fernhalten. Literatur ist visionär und imaginativ . Ich bin überzeugt, dass kreative Autorinnen den feministischen Diskurs mit ihren Büchern erweitert haben. Aber man kann im Rahmen einer einengenden Ideologie keine Literatur schaffen, ich glaube, dass die Ideologie sich an die Fersen der Literatur hängen sollte, nicht umgekehrt. Feministinnen sollten dazu beitragen, die Fantasie und Vorstellungskraft von Frauen zu befreien. Frauen sollten die größere Kraft und Freiheit die der Feminismus hervorgebracht hat nutzen, um ihre eigene Fantasie zu entwickeln.."6 Dem Vorwurf, dass weibliche Autorinnen formal kaum etwas Neues hervorbrächten, entgegnet Dacia Maraini: "Eine Frau, die Gedichte schreibt und die von ihrem Frau-Sein weiß, kann nicht anders, als sich an die Inhalte zu klammern, denn die Kultivierung der Form ist ein Attribut der Macht, und die Macht der Frauen ist stets eine Ohn-Macht, ein brennendes Vermächtnis, das ihr nie zur Gänze gehört." 7 Sie versteht sich als Autorin, die aus der Sicht der Frauen schreibt. Sie negiert zwar, dass es eine spezifisch weibliche Art zu schreiben gibt, beharrt aber auf der spezifisch weiblichen Sichtweise, die sich aufgrund der andersartigen Erfahrungswelt von Frauen konstituiert. "Über einen langen Zeitraum hinweg, man kann fast sagen bis hin zur der mir vorangehenden Generation, haben es Frauen abgelehnt, über eine feminine Literatur zu sprechen, weil diese Definition eine Literatur der Sentimentalität, des Psychologismus bedeutete, eine Literatur als Trostspender, der es an Anstrengung und Gründlichkeit mangelt. Es gibt nicht wirklich einen femininen Schreibstil, sondern es gibt eine spezifische Sichtweise, eine subjektive Geschichte ( das beinhaltet nicht, aus einer biologistischen Sicht zu schreiben) der Frauen und der Frauen, die schreiben." Und über diesen spezifisch weiblichen Erfahrungshintergrund sagt sie: "Die Haltung, die Perspektive, die eine Frau einnimmt wenn sie eine Geschichte erzählt, ist leicht anders, als wenn ein Mann erzählt. Ich bin nicht nur ein Geschöpf der Gegenwart. Sondern bewahre auch Erfahrungen der Vergangenheit in mir auf. Eine Frau die schreibt, kann nicht von der Geschichte der Frauen absehen." 8





Das Gedächtnis des Körpers

In ihrem Verständnis heißt dies vor allem auch, den Körper als zentrale subjektive Erfahrungsebene zu sehen, aus der sich Sprache artikuliert. Damit geht sie konform mit dem von Helène Cixous formulierten Konzept "Leben ist ein Text, der mit meinem eigenen Körper beginnt. Ich bin schon Teil des Textes. Geschichte, Liebe Gewalt, Zeit, Arbeit und Begehren sind in meinen Körper eingeschrieben..."7 Der Körper als die Erfahrungsgrundlage allen weiblichen Wissens konstituiert auch die These der sexuellen Differenz zwischen Frauen und Männern, die für ihre Betrachtungsweise grundlegend bleibt. In ihrem Essayband "Der blinde Passagier"(1997) spricht sie über das ambivalente Verhältnis zum eigenen Körper: "Als Frau weiß ich, dass das Wort "Körper" mir sehr nah ist, fast freundschaftlich verbunden, und zugleich weiß ich, dass es mir zum Feind werden kann, treulos, verräterisch und gefährlich."8
So geht es in zahlreichen Romanen der Autorin denn auch um diese Körpererfahrung, die geprägt ist von patriarchalen Normen und Restriktionen, von erlittener Gewalt und unterdrückten Wünschen und Bedürfnissen und um die Versuche von Frauen, dem eigenen Begehren Stimme zu geben. Schon in ihrem ersten Roman, "Tage im August" klingen diese Themen an: Prekäre sexuelle Beziehungen zwischen nicht gleichwertigen Partnern, Versuche von Frauen, aus ihrer engen familiären Situation und sozialen Normen auszubrechen und Neues zu erproben, Versuche, sich eigene Räume zu schaffen, in denen sie ihre Phantasien und eigene Bedürfnisse nach erfüllter Sexualität ausleben können.
Ihr 1972 veröffentlichtes Buch "Erinnerungen einer Diebin", handelt von der Selbstbehauptung einer Frau. Der Roman erzählt aus der Ich-Perspektive die Odyssee der unkonventionellen Teresa, die ihr Überleben als Diebin und Tagelöhnerin in Rom sichert und dabei Einblicke in ihre familiären und Liebesbeziehungen gewährt, die alles andere als glücklich verlaufen. Dabei verschränken sich Erinnerungen und Gegenwart unaufhörlich im Erzählstrom, der auf den Schilderungen jener Teresa beruht, die Dacia Maraini im Frauengefängnis von Rom kennenlernte und mit der sie eine enge freundschaftliche Beziehung aufbauen konnte. Mit diesem Buch beabsichtigte sie, jenen Frauen eine Stimme zu verleihen, die sich selbst nicht ausdrücken können.
Die Schilderungen von Erotik und Sexualität hatte schon gleich in ihrem ersten Buch zu Empörung geführt, die ihr fünf Prozesse einbrachten. Barbara Heinzius hat sich in ihrem Buch "Feminismus oder Pornographie? Zur Darstellung von Erotik und Sexualität im Werk Dacia Marainis" ausführlich mit den einzelnen Phasen der literarischen Bearbeitung dieses Themas befasst und gelangt zu der Schlussfolgerung, dass es sich im Verlauf der Jahre änderte. Während in ihrer frühen Phase noch die sehr direkte Darstellungen - eingebunden in interviewähnliche Beschreibungen oder Tagebuchaufzeichnungen - des Geschlechtsverkehrs, den die Frauen überwiegend als unbefriedigend oder gewalttätig erleben, dominierten, sind in den späteren Prosawerken auch erotische Darstellungen zu finden, die weniger direkt nicht von Gewalt geprägt sind. Auch die lesbische Liebe wird von ihr aufgegriffen (Donna in guerra).






Biografie als Ausgangspunkt

Ein wichtiger Ausgangspunkt ihres Schreibens ist die eigene Biografie. Dies können sowohl Erlebnisse und Erinnerungen sein aber auch Träume, literarische Werke, familiäre Überlieferungen und Interviews. Dabei ist die Verschränkung oder das Mäandern zwischen verschiedenen Erzähl- und Erinnerungsebenen, das Ineinanderfließen verschiedener Zeitebenen ein häufig angewandetes Stilmittel. So in dem Buch "Ein Schiff nach Kobe". Die Tagebuchnotizen der Mutter über den Zeitraum des Japanaufenthaltes von 1938 bis 1941 (bis zum Zeitpunkt der Einweisung in ein Konzentrationslager in Japan) werden ergänzt durch Kindheitserinnerungen an die verschiedenen Mitglieder der Familie, durch Reflexionen über wichtige literarische Werke und politische und gesellschaftliche Ereignisse und Probleme. Vor allem versucht die Autorin aufzuspüren, welche Auswirkungen das Erlebte für ihre weitere Entwicklung hatte. Auch in ihrem Buch "Bagheria", der Schilderung der Rückkehr an den Ort ihrer Kindheit in Sizilien, findet sich diese Vorgehensweise. In dem Roman "Gefrorene Träume", die ihre Gefühle und Meinungen zu aktuellen Entwicklungen einfließen lässt, ist in der "Frau mit den kurzen Haaren" unschwer die Autorin selbst zu erkennen.
In vielen ihrer Bücher werden die Leser mit ihren wichtigen literarischen Orientierungspunkten bekannt gemacht, so in "Gefrorene Träume" indem ein Vers Calderón de la Barcas Drama "Das Leben ein Traum" leitmotivisch dem Buch voran gestellt wird. Dieses Werk und das Traummotiv spielen in vielen ihrer Romane eine wichtige Rolle. So schreibt sie in "Bagheria": "Jahrelang habe ich Traum und Wirklichkeit miteinander verwechselt. Meine Träume waren genau und klar, sodass es schwierig war, sie von der Wirklichkeit zu unterscheiden. Es waren in der Hauptsache Träume über Reisen, Abenteuer, außerordentliche Ereignisse, in denen ich mich aalte wie eine kleine Alice, jederzeit bereit, in den dunklen Brunnen zu stürzen, wenn es dort etwas Neues, Unterhaltsames zu erleben gab." 10

engl.Ausgabe


Schreiben in der ersten Person
Auch das Schreiben in der ersten Person - mit eigenen Worten sprechen, sich ohne Fremdbestimmung auszudrücken - ist eine wichtiger Aspekt für die Identitätssuche der dargestellten Frauengestalten: die eigene Stimme finden, die Erfahrungen des Körpers ausdrücken. Insofern ist das Sprechen in der ersten Person ein wichtiges stilistisches Element, welches sie in zahlreichen Büchern verwendet.
In ihrem 1967 erschienen Buch "A memoria" schildert die Protagonistin Maria in lapidarer Form alltägliche Abläufe. Bei der Darstellung der Ereignisse und Personen unterbleiben jegliche Gefühlsäußerungen oder Erklärungsversuche. Der Leser wird konfrontiert mit sich widersprechenden Eintragungen, mit Bruchstücken, deren Sinn er sich selbst erschließen muss. Es findet keine psychologische Interpretation der Protagonistin statt. Man kann dieses Buch von seiner literarischen Intention durch aus als einen Vorläufer der "noveau roman" von Nathalie Sarraute oder Alain Robbe-Grillet sehen.
Ähnlich verstörende Geschichten, in denen fast emotionslos das Verrückt-Sein, das aus der Rolle-Fallen, geschildert wird, finden sich in ihrem Band "Winterschlaf", der 2002 erneut unter dem Titel "Mein Mann" erschienen ist. Auch hier bedient sie sich in den Erzählungen "Ehetagebuch" und "Die Hände" des selben Stilmittels in gleicher Weise.
"Wesentlich in ihrem frühen erzählerischen Werk ist das Vorhandensein eines erzählenden Hauptcharakters der in der ersten Person spricht. So schreiben Enrica, Vanna und Teresa ihre eigene Geschichte und sind zugleich Protagonistinnen der eigenen Handlung. ...Bis zu einem gewissen Grad wird in den Erzählungen Marainis versucht, die Distanz zwischen Autor und Charakter zu überwinden, indem Objektivität vermieden und absichtsvoll eigene Subjektivität ausgedrückt wird. In diesen Fällen besteht die persönliche Geschichte nicht einfach in der einfachen Niederschreibung des Erlebten. Die Autorin flicht die eigene Identität ein uns verwebt sie mit der Darstellung der Fakten. "Man kann fast sagen, dass so das "Ich" und "sie" verschwindet in einer Dimension, die als eine Zwischenform zwischen Autobiografie und Fiktion anzusehen ist." 11 Dieses für viele Autorinnen der frühen Frauenbewegung typische Verfahren verfolgt die Absicht, Frauen einen Subjektstatus zu verleihen, den ihnen die patriarchalische Gesellschaft weitgehend verweigert hat."Weibliche Subjetivität ist deshalb zunächst identisch mit den Wahrnehmungen und Überlegungen eines im Alltag sich-selbst gewiß werdenden Ichs, welche in Abgrenzung zu männlichen Verhaltensweisen und Bewertungen entworfen werden. Sich selbst ernst zu nehmen und eigene unabhängige Normen und Ansprüche zu begründen, in diesem Gestus artikuliert sich das Selbstbewußtsein weiblicher Subjektivität, dem als Schreibweise tagebuchartige Reflektionen entsprechen."12 Diese Vorgehensweise findet sich auch in einigen der Werke von Dacia Maraini: Der Roman "Donna in guerra", verfasst in Form eines Tagebuchs, das starke autobiografische Züge hat und der nicht ins Deutsche übertragene Roman "Lettere a Marina" ein Briefroman, in dem sich zwei Frauen über ihren Alltag, ihre Lektüre und ihre Beziehungen und sexuellen Erfahrungen austauschen. Tagebucheinträge ihrer Mutter sind in "Ein Schiff nach Kobe" die Reflektionsgrundlage für die Identitätssuche der eigenen Tochter.




Andere zum Schreiben motivieren

In ihrem Buch "Ammata scrittura", in dem die Ergebnisse eines Fernsehseminars über das Schreiben abgedruckt sind, gibt sie auführlich Auskunft über ihre künstlerischen Ambitionen und ihre Erfahrungen im Unterrichten. Auch in dem Band “Un posto per scrivere - Indagine sulla scrittura creativa in Italia” (Ein Platz zum schreiben - Untersuchungen über das kreative Schreiben in Italien"), der Interviews mit renommierten italienischen Autoren und Autorinnen enthält, ist ein Interview von ihr abgedruckt. 2011 erschien der Band "Esordienti: lavori in corso. Da Dacia Maraini a Paolo Giordano. Trenta consigli d'autore", in dem bedeutende Autoren und Autorinnen über ihren literarischen Beginn, ihre Schwierigkeiten und Erfolge sprechen.

Anmerkungen
1. Arianna Fioravanti http://www.enciclopediadelledonne.it/index.php?azione=pagina&id=576
2. italialibri.net,21.6.2000/interviste/0406-1.html, Übersetzung: EL
3. www.scritturacreative.com 4. Tre romanzieri a confronto in una prospettiva femminista: Maraini, Moravia e Morante,ITA 503, Lunds Universitet HT 2007, Språk- och litteraturcentrum Handledare: Petra Bernardini, Jessica Johansson
S. 10, http://www.lunduniversity.lu.se/o.o.i.s?id=24923&postid=1769435
5. Dacia Maraini: Erbarmungslose Liebe | Die Weltwoche, Ausgabe 40/2002 | Dienstag, 8. November 2011
6 Fleischhanderl, Karin; weibliches Schreiben in Italien, Natalie Ginzburg u.a. in; Zibaldone Nr.)/1990, S. 29-41,S. 37
7. Cisoux, Helène, Écriture feminine, S.86
8. Maraini, Dacia, Der blinde Passagier..., S.43
9. Fleischhanderl, Karin; weibliches Schreiben, a.a.O.
10.Maraini, Bagheria, S.64
11.Dionesco-Blumenfeld, Rodica/Testaferri, Ada; The Pleasure of Writing, Critical Essays on Dacia Mariani, West Lafayette 2000, S.82, Übersetzung EL
12.Weigel, Sigrid, Die Stimme der Medusa, Schreibweisen in der Gegenwartsliteratur von Frauen, Hamburg 1989, S. 98

Bildquellen:
http://www.zam.it/home.php?id_autore=434,Lalla Romano,
http://files.splinder.com/7c6af1aeb83026c0ec073e3e31d4cd58.jpeg,Ortese
http://www.comune.venezia.it, Deledda
www.vcircologramsci.it/sito2006/antico/le%,http://www.guidasicilia.it, http://www.tripadvisor.de/Attraction_Review-g1050566-d1426001-Reviews-Villa_Valguarnera-Bagheria_Sicily.html, Villa Valguarnera,

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